Ted Leo zum letzten, Hörsozialisation und Konsumverzicht

Das Wochenende liegt schon etwas zurück, aber erwähnenswert war es trotzdem. Wie schon angekündigt waren wir bei dem Ted Leo + Pharmacists Konzert in Nürnberg (und auch etwas darüber hinaus, vielen Dank an Evi!). Und es war mal wieder großartig, jede Menge Freunde und Bekannte wieder zu sehen, und zu quatschen, bis ich heiser wurde.
Dazwischen war natürlich auch ein Konzert. Und im Gegensatz zu Berlin hat hier alles gepaßt. Denn Hausmischer haben auch ihre Vorteile – sie kennen die Akkustik und die Anlage halt viel besser als ein mitreisender (und die kennen oft auch die Band nicht richtig, oft genug erlebt). Andi hat das schön geregelt, Quit Your Dayjob hatten das auch positiv bemerkt. Diese waren ganz gut, etwas eintönig auf Dauer und ich hatte ja zuviel anderes im Sinn um sie mir durchgehend anzugucken. Aber schön, dass so was mit dabei war und nicht die 1000e Emotralala-Kapelle oder so, wie ich bei DEAG befürchtet hatte.
Ted Leo wirkte zu Beginn nervös und hektisch und versuchte, die Pausen zwischen den Songs möglichst kurz zu halten – er geht wohl erst in der Musik richtig auf, der Rest ist mittel zum Zweck. Aber das besserte sich je länger er spielte, die Apotheker gaben ihr übriges dazu. Seltsam, dass der Bob Ross Verschnitt am Bass keinen Tropfen Schweiß verströmte. Wohl der einzige von den mehr als 160 anwesenden Leuten im vollen, heißen Zentralcafé. Er meinte dazu, er hat ja den leichtesten Job von ihnen, aber das reicht mir nicht. Er bewegte sich zwar auch weniger als Ted, aber da gab es genug Leute, die sich weniger bewegten, kein Flanellhemd anhatten und nicht im Schweinwerferlicht standen und trotzdem tropften. Schwitzsichere Weste oder sowas. Hit folgte auf Hit (die neue Platte ist für mich eh die tighteste und beste seit der letzten Chisel LP), aber auch andere Schaffensperioden – das grandiose Timorous Me inkl. Gänsehaut am Rücken – waren gut vertreten. Ted und der Schlagzeuger waren gegen Ende eher flüssig als fest und es gab auch noch jede Menge Zugaben, sowohl Coverversionen als auch solo, die Ted sehr elegant ohne unnötiges Publikumsgejohle einleitete. Ich muß im Nachhinein immer noch Grinsen und glaube auch, dass selbst wenn ich nicht reisebedingt so ausgehungert gewesen wäre, wäre das ebenso groß gewesen.

Ist ja, wie schon erwähnt, eine Menge Wasser geflossen, bis ich endlich in den Genuß kam, Ted Leo live zu sehen. Dabei hat er und seine (ehemalige) Umgebung bei Gern Blandsten ziemlich viel für meine eigene Hörsozialisation beigetragen. War Gern Blandsten bis zu den ersten Chisel-Veröffentlichungen in erster Linie ein (auch schon ziemlich gutes) DIY-Hardcore-und-Punk-Label, war die meiste Musik, die durch meine Gehörgänge bis dahin (ca. 1996) floß, ähnlich geartet. Aber zu dieser Zeit explodierte einiges, was wir heute noch verspüren, und das kam mir gerade recht. Wenn beispielsweise ich im Intro davon lese, dass Moving Units mit ihrem Neo-New-Wave heute etwas spät kommen, frag ich mich, wo die damals waren, als z.B. Label-Macher Charles bei Computer Cougar, der ersten modernen Gang Of Four Kopie, spielte. Aber das war ja noch nicht angesagt, weshalb die bald wieder verschwanden, ohne je in den bunten Blättern den Status zu erreichen, den sie verdient hätten. Im Gern Blandsten Umfeld tat sich noch jede Menge, was Punk und Hardcore musikalisch bis zum Hip Hop sprengte, jedoch zunächst noch unter striktem Indie- und/oder DIY-Vorzeichen stand – eigentlich bis zum großen Dancepunkhype – als die Liars und Radio 4 Gern Blandsten ins Scheinwerferlicht stellten. Davor geschahen noch andere großartige Dinge, Van Pelt mit Teds Bruder Chris fällt mir da ein, die ein halbes Jahr auf Halde lagen, nachdem ich mir die Platte auf einem Hardcorefestival in Biberach (wie Jo Tornado übrigens auch) gekauft hatte, bis sie so richtig zündete. Oder World Inferno. Oder Impossible Five. Und von Artverwandten wie Les Savy Fav, der Troubleman-Ecke usw. ganz zu schweigen. Ähnliches tat sich ja auch auf der Westküste, wo The Rapture ja schon 1998 auf Gravity begeisterten. Inzwischen frag ich mich natürlich schon, ob diese musikalische Öffnung und stärkere Hinwendung auf die Musik an sich nicht auch dem Business-Prinzip stärker den Einzug ermöglicht hat, oder ob das einfach im amerikanischen Gesellschaftssystem immanent ist, und DIY eigentlich nur eine Spielwiese für aufstrebende Jungunternehmer war/ist. Jedoch ist das festhalten an eingefahrenen musikalischen Stilarten und Posen auch eher kontraproduktiv und verhindert ja auch nicht die Verbusinisierung. Was genug Tough-Guy-Gülle oder Wertkonservativpunks bestätigen. Deshalb lieber weiterhin im aufregendem Unterholz wühlen und musikalisch spannende Sachen hervorziehen, die möglicherweise demnächst in der unsympathischen Großhalle nebenan zu finden sein werden. Die Halbwertszeit für die von mir bevorzugte Konsumierweise ist ja verdammt kurz geworden, deshalb bitte ranhalten, solange noch sympathisch und ohne fahlen Beigeschmack, den Konsumverzicht kann ich dann immer noch ausüben.
now playing: Computer Cougar – Photos That Don’t Exist